Mathilde Thun zieht konsequent an den Kreis und sucht den Abschluss, wenn es die Gelegenheit gibt. 59 Tore hat die 17-Jährige bereits in der Regionalliga in dieser Saison erzielt.
Mathilde Thun ist mit 17 Jahren zu einer wichtigen Stütze des Görlitzer Regionalliga-Teams gereift. Das blieb in Österreich nicht unbemerkt.
Görlitz. Wo Mathilde Thun, die in den nächsten Monaten am Augustum-Annen-Gymnasium in Görlitz ihr Abitur ablegt, den Sommer am liebsten verbringen will, weiß sie schon jetzt: in Montenegro. Nicht, um Urlaub zu machen. Vom 9. bis zum 20. Juli findet dort die Handball-U19-Europameisterschaft statt, und die junge Görlitzerin hat realistische Chancen, dabei aufzulaufen – für Österreich. Weil ihr Vater Österreicher ist, hat die 17-Jährige automatisch die doppelte Staatsbürgerschaft und ist damit auch für das Nachbarland spielberechtigt. Dass das nun wahr werden könnte, ist das Ergebnis einer langen Handball-Reise.
Dass Mathilde Thun einmal zum Handball kommen würde, war irgendwie vorgezeichnet. Ihre Mutter Kerstin war früher selbst Handballerin, spielte unter anderem bei Koweg Görlitz. „Ich hatte keinen Druck, Handballerin zu werden, habe auch ein paar andere Sachen wie Theater-AG, Inline-Skaten oder Reiten ausprobiert. Aber als mich meine Freundin Nele Adam mit zum Handball-Training genommen hat, war für mich schnell klar, dass Handball das Richtige für mich ist. Meine Mutti hat das gefreut, und sie hat mich immer sehr unterstützt“, erinnert sich Mathilde Thun.
Vorteil als Linkshänderin
Sie profitierte wie so viele Görlitzer Mädchen von der klasse Nachwuchsarbeit bei Koweg, später beim Görlitzer HC. Der große Aufwand, von Anfang an dreimal Training pro Woche, begann sich schnell auszuzahlen. Auch wenn Mathilde Thun – damals eher schüchtern und sich nicht in der Vordergrund drängend – nicht gleich überragte. Der große Leistungssprung gelang ihr nach eigener Ansicht bei den B-Juniorinnen, als 14-, 15-Jährige. Da bekam sie einen Wachstumsschub: Mathilde Thun hat heute eine gute Größe für eine Rückraumspielerin, und das Selbstbewusstsein wuchs mit den Erfolgen. Dass sie als Linkshänderin einen kleinen Vorteil haben könnte, weil diese rar sind und für die rechten Positionen im Angriff von Handball-Trainern meistens gesucht werden, war ihr lange nicht bewusst.
Als sie im Februar des vergangenen Jahres das erste Mal zu Hause zum Kader der Görlitzer Frauen zählte, war das für sie etwas Besonderes: „Früher bin ich manchmal als Einlaufmädchen mit den Frauen eingelaufen und war megastolz darauf. Dieses Mal hatte ich selbst eine kleine Handballerin an der Hand, die zu mir aufschaute. Das war schon ein cooler Moment“, sagt sie. Am Anfang, hinter der Görlitzer „Anführerin“ Anne Neumann (spielt inzwischen für den HC Burgenland), blieb das Talent noch unauffällig.
In dieser Saison wurde alles anders. Mathilde Thun erhält trotz ihrer erst 17 Jahre viel Einsatzzeit und hat ihre anfängliche Schüchternheit längst abgelegt. Nach elf Spielen steht sie bei 59 Toren, mit „Ausreißern“ nach oben (zum Beispiel 14 Tore gegen den damaligen Spitzenreiter HC Leipzig II) und ganz wichtigen Treffern (zum Beispiel den Ausgleich in letzter Sekunde gegen Niederndodeleben). Heute nimmt sich Matilde Thun ihre Würfe, zieht durch, wenn sie die Chance dazu sieht und jubelt nach Torerfolgen mit geballter Faust auch mal ins Publikum. Bei den Görls ist die Schülerin derzeit nur schwer wegzudenken. Außerdem hat sie im gemeinsamen A-Juniorinnen-Projekt bei den Rödertalbienen mitgespielt, auch wenn die Qualifikation für die Bundesliga-Endrunde verpasst wurde. Der Kontakt öffnete die Tür nach Österreich.
Zum Lehrgang nach Innsbruck
Die Rödertal-Trainerin Iva Kanjugovic, die zuvor einige Jahre Teams in Österreich trainiert hatte, machte den dortigen Verband darauf aufmerksam: Hier spielt ein Talent, das auch für Österreich spielberechtigt ist. Es folgten viele Telefonate – und schließlich eine Einladung zu einem Trainingslehrgang der österreichischen U17-Nationalmannschaft im November nahe Innsbruck. „Das war für mich schon komisch und hat mich auch an meine Grenzen gebracht – eine völlig fremde Umgebung, Trainer und Spielerinnen, die ich nicht kannte“, sagt Mathilde Thun.
Aber: Sie hinterließ offenbar Eindruck, wurde auch für den nächsten Lehrgang Anfang Januar nach Kroatien eingeladen. „Inzwischen hat sich alles gut entwickelt, und ich fühle mich ganz wohl in dieser Mannschaft“, sagt Mathilde Thun, die in ihren ersten zwei Länderspielen schon vier Tore erzielte. Fernziel dieser Junioren-Nationalmannschaft ist die U19-EM in Montenegro im Juli, und Mathilde Thun will da hin.
Davor aber stehen (neben dem Abitur) noch zehn Spiele mit der Görls in der Frauen-Regionalliga an. Am Sonntag ist das erste Spiel im neuen Jahr geplant, ausgerechnet in Niederndodeleben. Jener Gegner, gegen den Mathilde Thun im Hinspiel den „Last-Second-Ausgleich“ erzielte. „Ich bin ganz optimistisch. Über die Weihnachtspause konnten einige Spielerinnen
von uns ihre Verletzungen auskurieren, wir sind alle fit und ich hoffe, dass wir an die guten Spiele der Hinrunde anknüpfen können“,
sagt Mathilde Thun, die den Gedanken an die nächste Saison noch weit von sich schiebt. Das einzige, was sie weiß: Sie will studieren, was und wo, ist noch unsicher. In Görlitz weiter Handball spielen würde sie gern.
Sächsische Zeitung 17.01.2025, Foto: H.E. Friedrich